Neue Veröffntlichung: „Critical” and Scarce? The Remarkable Career of Limestone, 1850-1914

Sebastian Haumann: „Critical” and Scarce? The Remarkable Career of Limestone, 1850-1914, in: European Review of History 27 (2020), S. 273-293. DOI: 10.1080/13507486.2020.1737651

Abstract: Over the past decade, the notion of ‘critical raw materials’ has appeared as a political concept. The reliance on these raw materials is characterized by the ambivalence of enabling future development and indicating vulnerability posed by the risks of potential scarcity. In this paper, Haumann argues that the concept of ‘criticality’ can be extended to historical research on resource scarcity. It highlights the importance of the construction of value added chains, analysed as dynamic technological systems, as a background for the social reflection on scarcity. As an example, the paper analyses how the use of limestone became ‘critical’ when it was adopted as flux in iron- and steel-making during the nineteenth and early twentieth centuries, enabling unprecedented economic growth. It stresses the interrelation of the reflection on vulnerability and scarcity on the one hand and the dynamic (re-)construction of the technological system attuned to this material on the other.

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Digitalisate: Reisetagebücher Hermann Wedding (1856-1862)

Zum Abschluss des Jahres noch mal ein paar digitalisierte Quellen. Die drei umfangreichen Reisetagebücher des späteren Professor für Eisenhüttenkunde, Hermann Wedding (1834-1908), die jetzt digital zur Verfügung stehen, habe ich 2015 während meines Aufenthalts als Scholar in Residence in der Eisenbibliothek Schlatt „entdeckt“. Die Kolleginnen und Kollegen von der Eisenbibliothek haben sich freundlicherweise um die Digitalisierung der bisher weitgehend unerschlossenen Tagebücher gekümmert, so dass Sie nun für alle Interessierten zugänglich sind.

Die Reisetagebücher Hermann Weddings geben Einblick in die Hochphase der europäischen Industrialisierung. Sie zeigen nicht nur, wie die verschiedenen Wissensgebiete von der Geologie über das Montan- und Hüttenwesen bis zum Maschinenbau ineinandergriffen. Sie dokumentieren auch die europäische Dimension des technologischen und ökonomischen Umbruchs der 1850er Jahre.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 23: H. [Hermann] Wedding, Über die Freiberger Hütten; Freiberger Hütten Proceße. Abschrift nach einem Hefte des H. Th. [Hieronymus Theodor] Richter; H. [Hermann] Wedding, Verschiedene Notizen, 1856/57 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0023), 2017.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 24: H. [Hermann] Wedding, Reise durch Thüringen, Bayern, Saarbrücken, Lothringen, Rhein, Westphalen, 1858 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0024), 2017.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 25: Hermann Wedding, Metallurgisches Reisetagebuch durch Deutschland, Belgien und England, 1860-1862 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0025), 2017.

 

Exkursion Großbritannien

Hier einige Eindrücke von der Exkursion, die ich Anfang September 2017 mit Dieter Schott und Studierenden der TU Darmstadt nach Großbritannien unternommen habe. Unter dem Thema „Industrialisierung und Urbanisierung“ sind wir zuerst nach Birmingham und anschließend nach Manchester und Liverpool gereist. Besonders eindrucksvoll war die Führung durch die Back-to-Backs in Birmingham, die zum Teil im Originalzustand der 1830er und 1870er Jahre rekonstruiert worden sind, und der Besuch von Quarry Bank Mill, wo viele der Textilmaschinen aus dem 18. und 19. Jahrhundert noch in Betrieb sind. Interessant war auch die Besichtigung der Iron Bridge und der nahegelegenen Museen rund um die Eisenherstellung und natürlich das verzweigte Kanalnetz, das wir an mehreren Stellen gesehen haben.

Iron Bridge
Iron Bridge

Birmingham
Birmingham

Birmingham Canal
Birmingham Canal

Quarry Bank Mill
Quarry Bank Mill

Kurzbeitrag zu Hartmanns „Atlas zu dem Handbuche der Bergbau- und Hüttenkunde“ (1858)

Im Rahmen der Reihe „Mein Lieblingsbuch“ hat die Eisenbibliothek in Schaffhausen meinen Kurzbeitrag zu Carl Hartmanns „Atlas zu dem Handbuche der Bergbau- und Hüttenkunde“ von 1858 veröffentlicht. Ich habe den „Atlas“ als „Lieblingsbuch“ der Eisenbibliothek ausgewählt, weil er nicht nur besonders schön illustriert ist, sondern weil in einigen der Darstellungen die Praktiken der Eisenverhüttung greifbar werden.

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Kolloquiumsvortrag IZWT Wuppertal

Am kommenden Mittwoch, den 11.1.2017, werde ich auf Einladung von Heike Weber und Christian Zumbrägel einen Kolloquiumsvortrag am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung der Uni Wuppertal halten. Ich werde einige konzeptionelle Aspekte aus meiner Habil zur Diskussion stellen und auch versuchen, einen lokalen Bezug herzustellen – immerhin war und ist der Westen von Wuppertal einer der wichtigsten Standorte der Kalkindustrie.

Stoffgeschichte aus praxeologischer Perspektive. Kalkstein als Industrierohstoff des 19. Jahrhunderts

Mittwoch, 11.01.2017

18 c.t. Uhr

Raum N.10.20 (Gebäude N, Ebene10, Raum 20)
Campus Grifflenberg, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal

zum Programm des Kolloquiums

Tagung: Resources and Economies of Knowledge in the Anthropocene

Anfang kommender Woche bin ich auf dem Workshop „Resources and Economies of Knowledge in the Anthropocene“, den Helge Wendt, Nadin Heé und Franz Mauelshagen am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte veranstalten. Aus der Arbeit an meiner Habil werde ich einige Überlegungen zur geologischen Landesaufnahme und der Anpassung der Eisenverhüttung um 1850 präsentieren.

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Lehrforschungsprojekt: „Zeugen der Industrialisierung“

Im kommenden Sommersemster 2016 werde ich ein Lehrforschungsprojekt für MA-Studierende anbieten, in dem wir das 1858 von Hermann Wedding verfasste Tagebuch seiner  „Reise durch Thüringen, Bayern, Saarbrücken, Lothringen, Rhein, Westphalen“ edieren werden.

Die 1850er Jahre gelten als das Schlüsseljahrzehnt der Industrialisierung in den deutschen Staaten. Der Eisenbahnbau, der Aufstieg des Maschinenbaus und die Montanindustrie prägten als Leitsektoren die rasante wirtschaftliche und technologische Entwicklung dieses Jahrzehnts. In dieser Zeit bereiste Hermann Wedding, der später Professor für Eisenhüttenkunde wurde, West- und Süddeutschland. Seine Eindrücke und Beobachtungen zu neu entstandenen Fabriken, technologischen Innovationen, aber auch zur Geologie hielt Wedding in einem Reisetagebuch fest. Dieses knapp 100seitige Tagebuch mit Weddings handschriftlichen Einträgen ist erhalten geblieben und befindet sich in der Eisenbibliothek, Schaffhausen.

Ziel des Lehrforschungsprojekt ist es, das Reisetagebuch, das Wedding 1858 führte, zu erschließen, zu transkribieren, den Kontext aufzuarbeiten und den Text schließlich als Edition zugänglich zu machen. Eine Veröffentlichung der Edition in Kooperation mit der Eisenbibliothek, Schaffhausen ist vorgesehen. Interesse an der Arbeit mit handschriftlichen Quellen des 19. Jahrhunderts und die Bereitschaft, sich in das Lesen von Quellen in Kurrentschrift einzuarbeiten, sind Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Lehrforschungsprojekt.

Scholar in Residence der Eisenbibliothek

Im September 2015 bin ich Scholar in Residence an der Eisenbibliothek in Schlatt (Schweiz).

In der Eisenbiblothek arbeite ich mit publizierten Quellen zur Eisenverhüttung aus dem 19. Jahrhundert und versuche die (spärlichen) Informationen zur Verwendung von Zuschlägen und Kalkstein zu analysieren. Einen Schwerpunkt liegt dabei auf Handbüchern, von denen die meisten hier in der Eisenbibliothek in mehreren Ausgaben vorliegen. So kann man die Ausgaben ein und desselben Handbuchs über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichen und daraus Rückschlüsse auf die Veränderung des allgemein zugänglichen Wissens ziehen. Der diachrone Vergleich mehrerer Ausgaben ist in den meisten Fällen mit den im Internet verfügbaren Digitalisaten nicht machbar – oft wurde von Handbüchern nämlich nur eine Ausgabe digitalisiert (abgesehen davon, dass die Ergänzungsbände mit den schönen Illustrationen bei den Digitalisaten meist fehlen).

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Neu gelesen: Technologietransfer im frühen 19. Jahrhundert

In den vergangenen Tagen habe ich mich eingehend mit der Literatur zum Technologietransfer in der Hüttenindustrie während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Erklärungsbedürftig ist insbesondere, dass die Umstellung der Eisenerzverhüttung von Holzkohle auf Steinkohlekoks in Großbritannien schon am Ende des 18. Jahrhunderts stattfand, auf dem europäischen Kontinent aber erst in den 1820er Jahren in Belgien und in den 1850er Jahren in den deutschen Staaten „nachgeholt“ wurde. Das Wissen um die Möglichkeiten, mit Koks zu verhütten, war schon um 1800 weit verbreitet und auch die Versuche, den Transfer von Wissen aus Großbritannien zu unterbinden, waren offensichtlich nicht durchzusetzen. Warum also wurde das Wissen nicht angewendet?

Die Forschungslage zu dieser Frage ist umfangreich. Die meisten der Studien wurden in den 1960er bis 1980er Jahren durchgeführt. Genannt werden üblicherweise drei Faktoren:

1. Das reine Wissen um den Aufbau und die Funktionsweise von Kokshochöfen reichte nicht aus. Da das Schmelzen von Eisenerzen „a kind of cookery“ (Landes, 1969, S.92) war, kam es auf das Erfahrungswissen der Hochofenarbeiter an. Diese mussten nach Gefühl entscheiden, welche Menge Koks, Erze und Zuschläge eingebracht werden sollten, und die Temperaturentwicklung regulieren. Dieses Erfahrungswissen war schwer zu abstrahieren, entzog sich dem Transfer über Publikationen und Zeichnungen und führte zum Scheitern vieler Experimente mit Kokshochöfen.

2. Die Ausstattung der jeweiligen Standorte mit natürlichen Ressourcen variierte. In Großbritannien lagen Erze und Steinkohlen besonders nah beieinander. Zudem waren die Eigenschaften der Steinkohle für die Verhüttung geeignet. Beides war auf dem Kontinent meist nicht der Fall. Die Ausnahme der relativ frühen Industrialisierung Belgiens etwa wird darauf zurückgeführt, dass hier die Rohstoffe ähnlich dicht wie in Großbritannien beisammen lagen. Erst mit dem Ausbau von Bahnverbindungen nahm die Bedeutung der räumlichen Nähe der Rohstofflagerstätten ab.

3. Sind ökonomische Bedingungen als Ursache für die „verzögerte“ Umstellung auf die Verhüttung mit Steinkohlekoks angeführt worden. Kapitalmangel und wirtschaftspolitische Entscheidungen sollen eine Rolle gespielt haben. Insbesondere Rainer Fremdling aber hat darauf hingewiesen, dass die Umstellung auf Koks in den meisten Situationen lange Zeit keineswegs kostengünstiger gewesen sei. Entsprechende Versuche scheiterten ökonomisch, weil sie die Kosten der Holzkohlebefuerung letztlich überstiegen und Profite nicht zu erzielen waren.

Die drei Erklärungsmodelle weisen in je unterschiedliche Richtungen: Das erste Erklärungsmodell zielt auf die Praktiken der Verhüttung ab, also die routinisierten Handlungsabläufe am Hochofen. Die zweite Erklärung auf die Materialität der Rohstoffe, insbesondere auf ihre Verteilung und physikalischen Eigenschaften. Die dritte Perspektive rückt die ökonomische Rationalität der Akteure in den Mittelpunkt. Insbesondere die in den ersten beiden Erklärungsmodellen präsentierten Faktoren müssen allerdings neu angegangen werden, liegt ihnen in der Forschungsliterartur der 1960er bis 1980er Jahre eine recht naive Vorstellung von Praktiken und Materialität zu Grunde.

Literatur (Auswahl):

Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert. Die Eisenindustrien in Grossbritannien Belgien Frankreich und Deutschland, Berlin 1986.

William O. Henderson, Britain and industrial Europe 1750-1870. Studies in British influence on the industrial revolution in Western Europe, Liverpool 1954.

David S. Landes, The unbound Prometheus. Technological change and industrial development in Western Europe from 1750 to the present, Cambridge 1969.

Sidney Pollard, Peaceful conquest. The industrialization of Europe 1760-1970, New York 1981.

Rheinisch-Westfälische Kalkwerke: Geschäftsberichte

RWK1888

Die Berichte über die ordentliche Generalversammlung der Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke für die Jahre 1887/88 bis 1896/97 sind nur noch in einem Exemplar in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen erhalten. Darin finden sich jeweils ein Bericht des Vorstandes, des Aufsichtsrats und die Bilanz, die allerdings nur wenige Seiten umfassen. Die Aussagekraft der Berichte und der Bilanzen sind zwar eher gering. Für die Jahre zwischen 1896/97 und 1912/13 scheinen keine Geschäftsberichte mehr vorhanden zu sein.

Die Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke mit Sitz in Dornap (heute Wuppertal) waren das größte Unternehmen dieser Branche im Deutschen Reich. Sie produzierten hauptsächlich für den Bedarf der Eisenhüttenwerke im Ruhrgebiet. Im Jahr ihrer Gründung (1887/88) waren 480 Arbeiter beschäftigt, die gut 350000t Kalkstein und 50000t gebrannten Kalk herstellten. Zwanzig Jahre später produzierten sie mit 1200 Arbeitern 1000000t Kalkstein und mehr als 600000t gebrannten Kalk.