Quellenessay: Arbeitslosenzeitungen als Quellen zur Geschichte der Deindustrialisierung

Heute habe ich den ersten Beitrag im neuen Blog-Projekt der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung (GSU) gepostet:

Arbeitslosenzeitungen als Quellen zur Geschichte der Deindustrialisierung, in: Stadtgeschichten (8.3.2021), https://stadthist.hypotheses.org/209.

Die Geschichte der Deindustrialisierung, die viele westeuropäische Städte zwischen den 1970er und 1990er Jahren prägte, ist aktuell eines der wichtigsten Themen der zeithistorischen Forschung. Denn Deindustrialisierung bezeichnet einen breiten Strukturwandel, der nicht nur die Wirtschaft betraf, sondern die gesamte Gesellschaft erfasste und den Alltag vieler Menschen veränderte. Auch der Charakter von Städten und Nachbarschaften, ihre Sozialstruktur und ihr Selbstverständnis waren davon betroffen, wenn klassische Industriebetriebe verschwanden und Arbeitsplätze verloren gingen.

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Digitale Lehre im Sommersemster 2020 mit Transkribus

Im Zuge der Vorbereitungen auf das digitale Sommersemester 2020 habe ich ein Seminar konzipiert, das mit dem Editionstool Transkribus arbeitet. Transkribus ist eine frei verfügbare Software, die im Rahmen des Projekts READ entwickelt wurde und den Standards der digitalen Quellenedition entspricht. Mich haben die Funktionen des Programms überzeugt, mit denen es auch ohne große Programmierkenntnisse bequem möglich ist, Quellen überprüfbar und standardkonform zu transkribieren und zu annotieren. Es ist meiner Einschätzung nach gut für den Einsatz in der Lehre geeignet. Für das Seminar, in dem wir kollaborativ an einer Quelle arbeiten wollen, ist es zudem entscheidend, dass es möglich ist, gemeinsam an einer Quelle zu arbeiten, sie zu transkribieren und zu edieren.

Wir werden Transkribus zusammen mit den Möglichkeiten, die die Lehrplattform moodle bietet, nutzen, um die digital vorliegende „Statistik und Beschreibung des Amtes Hilchenbach im Jahr 1782 (verfasst durch den Hilchenbacher Amtmann Johann Henrich Schenck)“ (Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, E 403 (Fürstentum Siegen, Oranien-Nassauische Behörden, Zentralbehörden in Dillenburg), I A 9) zu erschließen. Damit soll das Seminar einerseits einen Einblick in die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts geben und mit dem Quellentypus der „statistischen Beschreibung“ vertraut machen. Andererseits soll es Kompetenzen im Umgang mit tools der Digital Humanities vermitteln.

Digitalisate: Reisetagebücher Hermann Wedding (1856-1862)

Zum Abschluss des Jahres noch mal ein paar digitalisierte Quellen. Die drei umfangreichen Reisetagebücher des späteren Professor für Eisenhüttenkunde, Hermann Wedding (1834-1908), die jetzt digital zur Verfügung stehen, habe ich 2015 während meines Aufenthalts als Scholar in Residence in der Eisenbibliothek Schlatt „entdeckt“. Die Kolleginnen und Kollegen von der Eisenbibliothek haben sich freundlicherweise um die Digitalisierung der bisher weitgehend unerschlossenen Tagebücher gekümmert, so dass Sie nun für alle Interessierten zugänglich sind.

Die Reisetagebücher Hermann Weddings geben Einblick in die Hochphase der europäischen Industrialisierung. Sie zeigen nicht nur, wie die verschiedenen Wissensgebiete von der Geologie über das Montan- und Hüttenwesen bis zum Maschinenbau ineinandergriffen. Sie dokumentieren auch die europäische Dimension des technologischen und ökonomischen Umbruchs der 1850er Jahre.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 23: H. [Hermann] Wedding, Über die Freiberger Hütten; Freiberger Hütten Proceße. Abschrift nach einem Hefte des H. Th. [Hieronymus Theodor] Richter; H. [Hermann] Wedding, Verschiedene Notizen, 1856/57 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0023), 2017.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 24: H. [Hermann] Wedding, Reise durch Thüringen, Bayern, Saarbrücken, Lothringen, Rhein, Westphalen, 1858 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0024), 2017.

Schlatt, Eisenbibliothek, Mss 25: Hermann Wedding, Metallurgisches Reisetagebuch durch Deutschland, Belgien und England, 1860-1862 (http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/ebs/0025), 2017.

 

Kurzbeitrag zu Hartmanns „Atlas zu dem Handbuche der Bergbau- und Hüttenkunde“ (1858)

Im Rahmen der Reihe „Mein Lieblingsbuch“ hat die Eisenbibliothek in Schaffhausen meinen Kurzbeitrag zu Carl Hartmanns „Atlas zu dem Handbuche der Bergbau- und Hüttenkunde“ von 1858 veröffentlicht. Ich habe den „Atlas“ als „Lieblingsbuch“ der Eisenbibliothek ausgewählt, weil er nicht nur besonders schön illustriert ist, sondern weil in einigen der Darstellungen die Praktiken der Eisenverhüttung greifbar werden.

Zum Beitrag

Lehrforschungsprojekt: „Zeugen der Industrialisierung“

Im kommenden Sommersemster 2016 werde ich ein Lehrforschungsprojekt für MA-Studierende anbieten, in dem wir das 1858 von Hermann Wedding verfasste Tagebuch seiner  „Reise durch Thüringen, Bayern, Saarbrücken, Lothringen, Rhein, Westphalen“ edieren werden.

Die 1850er Jahre gelten als das Schlüsseljahrzehnt der Industrialisierung in den deutschen Staaten. Der Eisenbahnbau, der Aufstieg des Maschinenbaus und die Montanindustrie prägten als Leitsektoren die rasante wirtschaftliche und technologische Entwicklung dieses Jahrzehnts. In dieser Zeit bereiste Hermann Wedding, der später Professor für Eisenhüttenkunde wurde, West- und Süddeutschland. Seine Eindrücke und Beobachtungen zu neu entstandenen Fabriken, technologischen Innovationen, aber auch zur Geologie hielt Wedding in einem Reisetagebuch fest. Dieses knapp 100seitige Tagebuch mit Weddings handschriftlichen Einträgen ist erhalten geblieben und befindet sich in der Eisenbibliothek, Schaffhausen.

Ziel des Lehrforschungsprojekt ist es, das Reisetagebuch, das Wedding 1858 führte, zu erschließen, zu transkribieren, den Kontext aufzuarbeiten und den Text schließlich als Edition zugänglich zu machen. Eine Veröffentlichung der Edition in Kooperation mit der Eisenbibliothek, Schaffhausen ist vorgesehen. Interesse an der Arbeit mit handschriftlichen Quellen des 19. Jahrhunderts und die Bereitschaft, sich in das Lesen von Quellen in Kurrentschrift einzuarbeiten, sind Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Lehrforschungsprojekt.

Archiv für alternatives Schrifttum in NRW

Im November 2015 bin ich Mitglied im Verein „Archiv für alternatives Schrifttum in NRW“ (afas) geworden. Das afas ist eines der größten Archive, in dem vor allem Zeitschriften und andere Veröffentlichungen der Protestbewegungen der 1970er und 1980er Jahre aufbewahrt werden. Als freies Archiv ist es auf die Unterstützung von Vereinsmitgliedern und Spenden angewiesen, die das Archiv neben projektabhängigen Fördergeldern finanzieren.

Ich selber habe im afas 2005 für meine Magisterarbeit und dann nochmal 2006 für die Dissertation recherchiert. Mich haben damals nicht nur die umfangreichen Bestände beeindruckt. Auch die Unterstützung durch Jürgen Bacia, der das afas leitet, hat die Arbeit dort sehr angenehm und produktiv gemacht. Deswegen bin ich jetzt Mitglied geworden und kann auch jedem, der zur Geschichte von Protestbewegungen in der Bundesrepublik forschen will, nur empfehlen einmal dort vorbeizuschauen – und natürlich das afas zu unterstützen, damit es auch in Zukunft fortbestehen kann.

Zur Hompeage des afas

Filmquelle: „A Place to Live“, 1948

In der letzten Sitzung meiner Übung „Klassiker der Stadtforschung und Stadtplanung“ in diesem Sommersemester haben wir uns mit der Filmquelle „A Place to Live“ aus dem Jahre 1948 befasst. Der Film, der für eine planmäßige Stadterneuerung in Philadelphia wirbt, entstand im Kontext der kommunalpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem „Reform-Movement“, zu dem auch die Philadelpia Housing Association als Auftraggeberin dieses Films gehörte, und der republikanischen Stadtregierung, die eine Stadterneuerung als Eingriff in die Eigentumsrechte der Grundbesitzer weitgehend ablehnte. Der Film trägt ganz deutlich eine politische Botschaft: planmäßige Stadterneuerung als gezielte sozialpolitische Maßnahme.

Für die Abschlussdiskussion der Übung war die Filmquelle deshalb sinnvoll, weil in ihr die Kernaussagen mehrerer „klassischer“ Texte der Stadtforschung und Stadtplanung aufgegriffen und verdichtet werden. Im Laufe des Semseters haben wir Texte von Friedrich Engels, Ebenezer Howard, Georg Simmel, LeCorbusier, Jane Jacobs und anderen gelesen und diskutiert. Deren Vorstellungen von Stadt und deren Kritik lässt sich auf vielfältige Weise auch in dem Film von 1948 wiederfinden. Tatsächlich haben die Studierenden in der Abschlussdiskussion ziemlich genau herausarbeiten können, wie bestimmte Ideen, die wir in den verschiedenen Texten über das Semester hinweg kennengelernt haben, in dem Film aufgegriffen wurden. Insofern war „A Place to Live“ als Filmquelle hervorragend geeignet, nocheinmal die großen Zusammenhänge im Denken über Stadt und Stadtplanung im 19. und 20. Jahrhundert zu bündeln, wichtige Diskussionsstränge herauszustreichen und konkret an einem Beispiel festzumachen.

„A Place to Live“ auf archive.org

 

Einführung in die Arbeit mit Quellen zur Umweltgeschichte der Frühindustrialisierung

In meinem Seminar (Umweltgeschichte der Industrialisierung) haben wir zu Letzt eine Reihe von archivalischen Quellen aus dem früh industrialisierten Siegerland gelesen. Aus diesem Quellenmaterial kann man mit den Studierenden hervorragend herausarbeiten, dass es bereits im 18. Jahrhundert Konflikte um Umweltverschmutzung und begrenzte Ressourcen gab – allen voran die auch in der Forschung breit diskutierte „Holznot“. So verlangte etwa die Oranien-Nassauische Regierung des Fürstentums Siegen 1779 ein Gutachten zu der Frage, „ob das Grubenholz von je her in einem solchen hohen Preise, wie gegenwärtig gestanden habe, oder ob es nach und nach und wann erhöhet worden sey und so weiter.“ Dieses Gutachten ist nicht nur überliefert, sondern liegt inzwischen auch als Digitalisat der Bestände des Landesarchivs NRW (Westfalen) online vor (Fürstentum Siegen, Oranien-Nassauische Behörden, Nr. I A 129, Digitalisat im DFG-Viewer).

Da es nicht nur Ziel des Seminars ist, etwas über Umweltkonflikte im Zusammenhang mit der Industrialisierung zu erfahren, sondern auch den Umgang mit archivalischen Quellen zu vertiefen, haben wir einige Stücke aus dieser digitalisierten Akte gemeinsam transkribiert. Hilfreich war zur Vorbereitung das Internetangebot Geschichte Online und hier insbesondere die „Ersten Schritte im Kurrent-Lesen„. Im weiteren Verlauf des Semesters werden wir das Kurrentschriftlesen und -transkribieren an weiteren Quellen aus dem digitaisierten Bestand einüben, die wir dann auf umweltgeschichtliche Fragen hin interpretieren können.

„Der Steinarbeiter“

Der Steinarbeiter

Am Freitag letzter Woche habe ich in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn einige Jahrgänge der Zeitschrift „Der Steinarbeiter“ ausgewertet. Die von 1897 bis 1934 herausgegebene Zeitschrift war das Organ des Zentralverbandes der Steinarbeiter Deutschlands. Die Zeitschrift ist besonders deshalb wichtig, weil sie eine der wenigen Zeugnisse über die Arbeitswelt der Steinbrüche ist, in denen Arbeiter zu Wort kommen. Ganz offensichtlich artikuliert sich darin zwar auch nur eine bestimmte Gruppe von Arbeitern, die sozialistischen Ideen und der Sozialdemokratie nahesteht, aber im Kontrast zu Berichten von Unternehmern, leitenden Angestellten und Gewerbeinspektoren, eröffnet die Zeitschrift eine weitere Perspektive. Die Frage der Berufssicherheit, bei der Arbeit in Steinbrüchen ein extrem wichtiges Thema, wird im „Steinarbeiter“ ganz anders bewertet als etwa in Veröffentlichungen der Berufsgenossenschaften, die von Unternehmern getragen wurden. Die Vulnerabilität der Arbeiter wird im „Steinarbeiter“ greifbar.

Regalität von Steinbrüchen 1815-1865

Die Frage, ob der Abbau von Kalkstein und anderen so genannten „Werksteinen“ im frühen 19. Jahrhundert dem Bergregal unterlag, ist schwierig zu beantworten. Wichtig ist die Frage aber trotzdem, denn das Bestehen des Bergregals bedeutete, dass die staatlichen Bergämter den Abbau dirigieren und Pacht- bzw. Konzessionsgebühren erheben konnten, unabhängig davon, wer der Grundeigentümer war, auf dessen Boden das Gestein abgebaut wurde. Für Preußen im 19. Jahrhundert ist bisher nur eindeutig geklärt, dass die Regalität mit dem Allgemeinen Berggesetz von 1865 aufgehoben wurde. Die Situation davor ist unübersichtlich – vor allem in den Landesteilen, die nach den napoleonischen Kriegen zu Preußen kamen. Denn zu diesem Zeitpunkt bestanden im wesentlichen eine Vielzahl von Bergordnungen der einzelnen Terretorialherren des 18. Jahrhunderts fort. Allerdings erodierten die Bestimmungen zum Abbau von Gestein zwischen 1815 und 1865.

Sehr anschaulich ist dieser Prozess in der Akte 962 „Regalität, Verwaltung und Abgabenpflicht von Steinbrüchen, 1815-1867“ im Bestand Oberbergamt Bonn des Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen dokumentiert. In den Unterlagen, zumeist von den Bergbehörden selber erstellt, wird die Unsicherheit und die fortwährende Auseinandersetzung um die Regalität von Kalkstein greifbar. In der Tendenz lässt sich auch die Liberalisierung des Bergwesens erkennen, die in das Berggesetz von 1865 mündete.

So berichtete das Oberbergamt Bonn im August 1826: „Das königl. Rheinische Ober-Bergamt hat bei Verwaltung des Bergwesens angenommen, daß die Steinbrüche im Alt-Bergischen und in den ehemaligen Kur-Kölnischen Ländern zum Bergregal gehören. In der jülisch-bergischen Bergordnung von 1719 […] sind sie zwar nicht namentlich unter den zum Bergregal gehörigen Fossilien mit aufgeführt. Es findet sich aber darin […], daß die Steinbrüche von den vorigen Regierungen seit unerdenklicher Zeit, ohne allen Unterschied, ob sie auf landesherrlichen oder Privat Grund und Boden eröffnet wurden, verpachtet oder sonst verliehen wurden. […] Nun haben aber in den letzten Jahren einige Grundeigenthümer angefangen, oder den Versuch gemacht, die auf ihrem Grund und Boden befindlichen Steinbrüche selbst zu benutzen indem sie die Regalität derselben nicht anerkennen wollen. Dies hat zu […] Rechtsstreitigkeiten Anlass gegeben…“ (Boelling: Betrifft die Regalität der Steinbrüche im Alt-bergischen, 14.08.1826, LANRW(W), Oberbergamt Dortmund, 962).

Einen Überblick zum Thema gibt: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster (Hg.): Die Preussische Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung, 1763-1865. Die Bestände in den nordrheinwestfälischen Staatsarchiven, Bd. 1 Staatsarchiv Münster, 2000.